2013
Corpus Delicti von Juli Zeh
Eigenproduktion Theater Drachengasse
Wiener Fassung, Regie: Andrea Hügli
Bühne, Kostüm: Nikolaus Granbacher
Visuals: David Hofer
Musik: Moritz Rauter, David Hofer
Regieassistenz: Josefine Knauschner
Hospitanz: Julia Sprenger
Es spielen: Melanie Herbe, Volker König, Tamara Stern, Dirk Warme
Rechte bei: Rowohlt Theaterverlag Reinbek/Hamburg
Premiere: 2. Mai – 15. Juni 2013 Theater Drachengasse
Im Gegensatz zum Menschen lässt sich jede Saftpresse aufklappen und in ihre Einzelteile zerlegen. Säubern, reparieren, wieder zusammenbauen.
Wir schreiben das Jahr 2057. Mia Holl hat ihren Ernährungsbericht nicht abgegeben, die Bakterienkonzentration in ihrer Wohnung steigt an, und ihre sportliche Leistungskurve ist eingebrochen. Damit macht sie sich der methodenfeindlichen Umtriebe schuldig. Denn alle Krankheiten sind ausgerottet und das kann nur durch vollständige Kontrolle aller Bürger so bleiben. Da gibt es kein Pardon. Auch wenn Mia meint, sie bräuchte nach dem Selbstmord ihres Bruders Moritz nur ein wenig Ruhe.
Der Staat kann nicht zulassen, dass Gefühle statt gesundem Menschenverstand ihr Leben bestimmen oder sie gar zu einer Sympathisantin der R.A.K. machen, die das Recht auf Krankheit fordert. Jetzt, wo sie durch den Verlust von Moritz ihre besondere Begabung für Schmerz entdeckt hat, ist die Gefahr dafür zu groß: Mia wird angeklagt.
KRITIKEN:
"Wenn Menschen Gott spielen wollen!
Der Mensch ist für sein Tun verantwortlich! Diesen Satz kann man nur unterschreiben. Der Mensch ist dafür verantwortlich alles zu unterlassen, womit er anderen schaden könnte. Auch das ist richtig. Doch was passiert, wenn dies alles von der Obrigkeit angeordnet und bei zuwiderhandeln bestraft wird?
Die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh entwirft in ihrem Roman "Corpus Delicti" eine Gesundheitsdiktatur, die den einzelnen Menschen verpflichtet, für den gesunden Körper zu kämpfen. Dazu gehört auch, dass man starke Gefühle nicht zulassen darf, da ja auch sie krankmachen könnten. Das wird einer jungen Frau, die um ihren Bruder trauert, zum Verhängnis.
Das Theater Drachengasse bringt nun eine Bühnenversion dieser sehr spannenden, verstörenden Geschichte - die Wiener Fassung stammt von Andrea Hügli. Sie inszenierte auch und entfesselte ein Furioso des Abstrusen, ein Szenario des Schreckens. Ausstatter Nikolaus Granbacher und Musikverantwortlicher David Hofer helfen ihr, die Zuschauer durch eine Geisterbahn zu jagen, die zeigt, was passiert, wenn Menschen Gott spielen wollen. Ein grandioses Schauspielerquartett (Tamara Stern, Melanie Herbe, Volker König, Dirk Warme) präsentiert fulminant die einzelnen Stationen einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft.
(Wiener Zeitung Online, 3.5.2013)
Im Staat der Zukunft
Uraufführung im Theater Drachengasse: Andrea Hügli bearbeitet einen Text der Berlinerin Juli Zeh und führte das Stück mit Tamara Stern, Melanie Herbe, Volker König und Dirk Warme auf. Nikolaus Granbacher gestaltete den Raum mit Eisenstängen.
In "Corpus Delicti" geht es um eine makabre Zukunftsvision: 2057 sind alle Krankheiten ausgerottet. Wer nicht Sport betreibt, wer raucht und der Gesundheit schadet, macht sich in diesem Zukunftsstaat methodenfeindlicher Umtriebe schuldig. Vollständige Kontrolle der Bürger garantiert, dass alles bleibt, wie es ist.
Mia Holl, deren Bruder Selbstmord begeht, will jedoch ihre Ruhe, sie will rauchen, sie will nicht auf eine Bakterienkonzentration achten. Der Staat kann jedoch Gefühl, Schmerz, Recht auf Krankheit nicht zulassen. Denunziation und Anklage sind die Folgen.
Für "Corpus Delicti" erhielt Juli Zeh den Jürgen-Bansemer- und Ute-Nyssen-Dramatikerpreis. Die dichte, beklemmende Aufführung in der Drachengasse, die den Darstellern Wandlungsfähigkeite und auch intensive sportliche Leistungen abfordert, macht diese Preis-Zuerkennung verständlich.
KRONEN ZEITUNG, 4.5.2013